Prof. Dr. Vera Beyer, Professorin für Kunstgeschichte und Historische Bildwissenschaft an der Universität Regensburg und Beiratsmitglied des Zentrums Erinnerungskultur, thematisierte im Rahmen der Reihe „Debatten und Positionen zur Erinnerungskultur“ am 12.03.2024, wie in europäischen Museen die Vorstellung von kulturellen Differenzen – etwa zwischen einer „islamischen“ und einer „europäischen“ Kultur konstruiert wurden. Zugleich ging sie darauf ein, wie museumspädagogische Ansätze versuchen, mit dieser Problematik umzugehen. Vera Beyers Vortrag stieß auf breites Interesse und versammelte über 50 Zuhörende im H26 der Universität.
Im Vorfeld führte der Journalist Christian Muggenthaler ein Gespräch mit Vera Beyer, das einen Einblick in die Thematik bietet:
Die Chance, etwas anderes zu erzählen
Frau Beyer, worum geht es in Ihrem Vortrag?
In dem Vortrag geht es um eine grundsätzliche Frage: Welche Vorstellungen macht sich eine deutsche Gesellschaft von Kulturen – und wie tragen Museen dazu bei, dass diese Vorstellungen entstehen und bestehen. Dazu zeige ich zwei konkrete Beispiele aus dem Museum für Islamische Kunst in Berlin. An diesen Beispielen – einem Elfenbeinhorn und einer Wandnische – will ich zeigen, wie Museen dazu beigetragen haben, was für eine Vorstellung von – Achtung: Gänsefüßchen! – „Islamischer Kultur“ in unseren Köpfen ist. Es ist interessant, wie man zum Beispiel Objekte regelrecht auseinandergebaut und alles ausgeklammert hat, was nicht zu der Vorstellung einer „islamischen Kunst“ gepasst hat.
Eine konstruierte Vorstellung?
Ja, man hat systematisch Objekte und sogar Teile von Objekten aussortiert, um von einer distinkten Kultur erzählen zu können, eben einer „ganz anderen“. Wir nennen das auch „Othering“, also Fremdmachung. Gemeinsamkeiten werden ignoriert, Differenzen werden überbewertet, außereuropäische Kulturen werden in Opposition zur eigenen gestellt. Diesen Prozess möchte ich zeigen. Die Basis ist das Projekt „Objects in Transfer“ in Zusammenarbeit mit dem Museum für Islamische Kunst in Berlin, an dem ich zusammen mit dem Direktor Stefan Weber und Mitarbeiterinnen wie Isabelle Dolezalek und Sophia Vassilopoulou und vielen anderen gearbeitet habe. Das heißt, es geht nicht um eine Kritik an dem heutigen Museum, sondern an dessen Geschichte. Dort hat man inzwischen ja auch einen anderen Blick auf die Exponate.
Wie ja wohl überhaupt die meisten Museen mit einst „völkerkundlicher“ Richtung ihre Präsentationen überarbeiten?
Zum Glück findet die Forderung, sich mit der Kolonialzeit auseinanderzusetzen, auch in Deutschland endlich Gehör und erste Raubkunst wird zurückgegeben. Es geht aber auch darum, stereotypen Vorstellungen entgegenzuarbeiten. Da sind gerade in den Dauerausstellungen noch viele Dinge zu sehen, die viele aktuelle Kuratoren und Kuratorinnen so nicht mehr wollen.
Derlei „Othering“ gab und gibt es aber nicht nur in Museen?
Keineswegs. Filme, Bücher, Comics: Da wird das Bild geprägt. Unser aller Bild. Auch meines. Aber auch in Kunstmuseen: Was wird da eigentlich unter „europäischer Kunst“ präsentiert? Es dominiert der Blick nach Westen. Nach Osten dagegen wird’s ganz schnell ganz dünn. Das zeigt schon auch, welche Vorstellungen von Europa, von europäischer Kunst da gelten.
Eine solche Schubladisierung des Denkens gilt auch für die Kunst des Islam?
Wir haben uns angewöhnt, die Künste aus Westasien und Nordafrika, dem sogenannten „Nahen Osten“ – ein Begriff, der einen europäischen Standpunkt voraussetzt – sehr stark unter religiösem Nenner – als „islamische Kunst“ – anzusehen. Damit betrachten wir sie als etwas sehr Einheitliches. Es gibt aber zwischen Marokko und Indonesien die verschiedensten Kulturen – und auch sehr unterschiedliche religiöse Anschauungen. Als ob sich alle Menschen brav unter einem einheitlichen religiösen Dach versammeln ließen! Da fliegt einem zum Beispiel immer wieder das Wort „Bilderverbot“ um die Ohren. Aber das ist eine Vorstellung, die im 19. Jahrhundert stark gemacht wurde. In meinem Vortrag berichte ich, dass Objekte mit menschlichen Figuren flugs anderen Fachgebieten zugeschlagen wurden.
Da wirkt sich wohl auch ein eurozentristisches Denken aus, das besagt, der Westen sei die Leuchte der Aufklärung und setze sich als solche vom Rest der Welt ab?
So dachte man im 19. Jahrhundert – etwas überspitzt formuliert: Wir sind so aufgeklärt, kommen mit Bildern klar, mögen Kunst. Dagegen die „Semiten“: bilder- und kunstfeindlich! Wenn man sich selbst als ideal betrachten will, müssen schließlich die Anderen völlig anders sein und als solche konstruiert werden. Das klingt bis heute nach. Die Mohammed-Karikaturen beispielsweise sind aber bei vielen Musliminnen und Muslimen nicht wegen des Bilderverbots auf Ablehnung gestoßen, sondern wegen ihres als Beleidigung empfundenen Inhalts.
Ist denn die Darstellung „christlicher Okzident“ contra „islamischer Orient“ als immer anders und besonders konfliktträchtig auch vor dem Hintergrund einer auch gemeinsamen Geschichte überhaupt haltbar?
Nein. Erkennbar sind stattdessen viele Schnittmengen und Verflechtungen. Die Höfe im mittelalterlichen Mittelmeerraum teilten oft denselben Geschmack, sodass wie im Falle des Elfenbeinhornes, um das es in meinem Vortrag geht, immer noch diskutiert wird, wo es überhaupt herkommt. Die Kenntnisse der Antike kamen über den arabischen Raum nach Europa. Und so weiter. Trennungen werden oft strategisch eingesetzt. Alle starren ständig auf die Kreuzzüge, aber nicht auf das – bitte andererseits nicht zu romantisierende – Zusammenwirken auf vielen Ebenen. Das hat auch viel mit der europäischen Kolonialgeschichte zu tun. Man musste ja schließlich rechtfertigen, andere Länder zu kolonialisieren. Eine Legitimation dafür finden. Also erklärte man, die Menschen dort seien unzivilisiert, bilderfeindlich, unterentwickelt. Da müssten wir als Europäer helfen. Vorstellungen, die dann eben auch über die Museen konserviert werden. So entsteht „Othering“, und so entsteht auch Rassismus. Da kommt dann das 19. Jahrhundert auf erschreckende Weise ins 21. Jahrhundert hinein.
Ein solches „Othering“ kann aber auch gut gemeint sein?
Ja, „Othering“ findet sich auch in Zusammenhängen, wo man sich vom Rassismus explizit distanziert. Es gibt gerade in Deutschland immer auch eine Art „positiven Orientalismus“. Eine regelrechte Romantisierung. Aber auch da basierte das Interesse auf etwas, das als „ganz anders“ dargestellt wird. Das ist in all seiner gut gemeinten Haltung nicht zwingend unproblematisch. Denn auch diese Vorstellung einer „ganz anderen Kultur“ impliziert: Sie ist unveränderlich anders.
Unveränderlich sind solche Blicke auf „das Andere“ aber nicht?
Nein, so stiehlt man sich nur aus der Diskussion. Die Differenzen und Konflikte sind nicht unveränderlich, sondern haben mit einer gemeinsamen Geschichte zu tun. Deshalb darf man sie auch nicht im Sinne einer Utopie des friedlichen Miteinanders einfach unter den Teppich kehren. Und man kann die Vorstellungen verändern. Man kann im Museum – aber auch im Kunstunterricht – mit Objekten gerade gegen die Kategorien des „Othering“ wirken, indem man die Objekte beispielsweise von ihren Migrationsgeschichten – und der Fremdmachung in dieser Geschichte – erzählen lässt. Diese Veränderungen sind bedeutsam. Es gibt die Chance, den Menschen etwas anderes zu erzählen.
Wir danken Christian Muggenthaler, der das Interview geführt und uns zur Verfügung gestellt hat, und der Mediengruppe Attenkofer, in deren Printausgabe der Regensburger Zeitung vom 09.03.2024 das Gespräch erschienen ist (Mit freundlicher Genehmigung der Mediengruppe Attenkofer).