21.02.2025

„Geschichte erinnern“ am Gymnasium

Lehrkräftefortbildung

Bis auf den letzten Platz ausgebucht war die zweite Lehrkräftefortbildung des Zentrums Erinnerungskultur in Kooperation mit der Dienststelle der Ministerialbeauftragten für die Gymnasien in der Oberpfalz. Die von Prof.in Dr. Juliane Tomann und Dr. Philipp Bernhard konzipierte und organisierte Fortbildung beschäftigte sich mit dem neuen Lernbereich „Geschichte erinnern“ des LehrplanPlus Geschichte für die 11. Jahrgangsstufe an bayerischen Gymnasien. Ziel der zweitägigen Fortbildung war es, zentrale Themen des Lehrplans in Vorträgen von Expert:innen fachlich zu diskutieren und anschließend in Workshops auf der Grundlage ausgewählter Quellen und Materialien mit den Referent:innen über mögliche unterrichtliche Umsetzungen zu sprechen.

Nach der Begrüßung durch Prof. Dr. Bernhard Löffler, Direktor des Zentrums Erinnerungskultur, und Felix Wabra, Fachreferent Geschichte an der Dienststelle der Ministerialbeauftragten für die Gymnasien in der Oberpfalz, skizzierte Dr. Philipp Bernhard in seiner Einführung zentrale geschichtsdidaktische Herausforderungen, die mit dem neuen Lehrplanthema verbunden sind.

Die erste Sektion beschäftigte sich mit populären Formen der Darstellung von Geschichte am Beispiel „Mittelalter“. Der erste Vortrag von Prof.in. Dr. Juliane Tomann zu erlebnisorientierten Formaten mittelalterlicher Geschichte am Beispiel von Re-enactments musste leider krankheitsbedingt ausfallen. Der zweite Vortrag von Aurelia Brandenburg (Bern) befasste sich mit der Konstruktion vermeintlich authentischer Mittelalterbilder in digitalen Spielen. Sie zeigte anhand zahlreicher Beispiele, wie durch das Zusammenspiel verschiedener Ebenen – vom Marketing über das Gamedesign bis hin zur Narration – ganz spezifische Authentizitätskonstruktionen bedient werden. Im Workshop wurde intensiv diskutiert, wie Mittelalterbilder und Authentizitätskonstruktionen in digitalen Spielen im Geschichtsunterricht kritisch analysiert werden können.

Die zweite Sektion eröffnete Prof. Dr. Christian Kuchler (Augsburg) mit einem Vortrag über Chancen und Grenzen historischer Darstellungen in Social Media am Beispiel des Instagram-Projekts @ichbinsophiescholl. Kuchler zeigte anhand ausgewählter Posts, wie Geschichte in diesem historischen Social Media-Projekt dargestellt wird. Forschungsergebnisse zur Social Media-Kommunikation der Nutzenden sowie die ästhetische Dimension des Mediums Instagram wurden anschließend im Workshop vertieft.

Im letzten Vortrag des ersten Tages setzte sich Prof.in em. Dr. Susanne Popp (Augsburg) mit dem Phänomen der Holocaustleugnung und -verharmlosung in den Sozialen Medien auseinander. Dabei gab sie den Lehrkräften sowohl Strategien zum methodischen Vorgehen als auch Vorschläge für Ziele bei der Auseinandersetzung mit dem Thema im Geschichtsunterricht an die Hand (z. B. Aufklärung über Themen, Symbole und Strategien der Holocaustleugnung sowie die Kenntnis verlässlicher Informationsquellen). Die Workshopgruppe diskutierte die von Popp zur Verfügung gestellten Materialien und Quellen, die zu großen Teilen aus einem kürzlich erschienenen von der Referentin mitverfassten UNESCO Teacher Guide zum Thema stammen.

Am zweiten Tag ging es zunächst in der Sektion drei um das Thema „Zeitzeugenschaft“ bzw. um den Umgang mit den Narrationen von Zeitzeug:innen. Prof. Dr. Jörg Skriebeleit (Flossenbürg/Regensburg) skizzierte in seinem Vortrag „Mehr als ein Video/Hologramm. Das Zeitzeugeninterview als historische Quelle“ den Wandel der Funktion von Zeitzeug:innen der NS-Verbrechen und des Holocaust in den letzten 80 Jahren. Dabei spannte der Direktor des Zentrums Erinnerungskultur einen Bogen von Zeug:innen im juristischen Sinn über Zeitzeug:innen als Gegenerzählung und wissenschaftliche Methode bis hin zur heutigen Hochkonjunktur, in der der Begriff des Zeitzeugen bzw. der Zeitzeugin vielfach zu einer unreflektiert verwendeten Metapher geworden sei. Im Workshop wurde intensiv diskutiert, wie damit umgegangen werden kann, dass Zeitzeug:innen zum NS zukünftig ausschließlich medial vermittelt zur Verfügung stehen und mit dem Tod der letzten Holocaustüberlebenden neben ihrer Aura auch ihre Autorität, etwa im politischen Diskurs, verloren geht. Dabei stellte Skriebeleit vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen als Leiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg die Arbeit mit Nachfahr:innen der zweiten oder dritten Generation als Chance für die historisch-politische Bildungsarbeit heraus. Diese sollten allerdings nicht für die Zeitzeug:innen sprechen, sondern darüber, wie sie ihre Eltern oder Großeltern erlebt haben.

Johannes Schmitz (Jena) wandte sich dann dem Umgang mit Narrationen von Zeitzeug:innen zur DDR-Geschichte zu. Schmitz erläuterte verschiedene Erzähltypen zur DDR-Geschichte, die in Zeitzeugeninterviews zu finden seien und problematisierte, dass gerade Zeitzeug:innen, die über den Alltag in der DDR berichteten, mitunter in Konflikt mit der Perspektive des Geschichtsunterrichts gerieten, der den Diktaturcharakter der DDR stark betone. Anschließend stellte Schmitz unterschiedliche digitale Angebote zur Arbeit mit DDR-Zeitzeug:innen vor. Kontrovers diskutiert wurde die Frage, wie im Geschichtsunterricht – gerade bei Live-Zeitzeugengesprächen – den Lernenden die Perspektiven und unterschiedlichen Agenden von Zeitzeug:innen aufgezeigt werden können, ohne den Menschen ihre Erfahrungen zu nehmen.

In der letzten Sektion der Fortbildung ging es um ethische Fragen im Umgang mit Geschichte am Beispiel aktueller Debatten um die deutsche Kolonialgeschichte. Dr. Philipp Bernhard ging vor dem Hintergrund des erweiterten Kolonialismusbegriffs der Postkolonialen Studien auf erinnerungskulturelle Debatten über Ehrungen im Fall kolonial belasteter Straßennamen ein. Dabei stellte er ein Analyseraster mit Fragen zur Verfügung, das historisch informierte Urteile in solchen Debatten anleiten soll und neben den verschiedenen Zeitebenen auch die Unterscheidung zwischen der Bewertung historischer Akteure nach zeitgenössischen und heutigen Maßstäben berücksichtigt. Im Workshop wurde diskutiert, inwiefern die abschließende Analysefrage, ob das ehrende Gedenken an die Person beibehalten, modifiziert oder abgeschafft werden soll, im Kern politische Debatten berührt und hier eine Zusammenarbeit mit dem Fach Politik und Gesellschaft erfolgversprechend wäre.

Im letzten Vortrag ging PD Dr. Richard Hölzl (München) auf das Museum Fünf Kontinente in München und dessen Umgang mit seiner kolonialen Vergangenheit ein. Er skizzierte die Geschichte des Museums, die in einer aktuellen, von ihm kuratierten Ausstellung „Kolonialismus in den Dingen“ kritisch beleuchtet wird, sowie aktuelle Projekte zur Erforschung der Herkunft kolonial angeeigneter Objekte in den Sammlungen des Museums. Dabei betonte er, wie wichtig für das Museum Kooperationen mit Expert:innen und Vertreter:innen der Herkunftsgesellschaften seien –  als Grundlage für Restitution und Repatriierung, aber auch für eine transkulturelle Verständigung über historisches Unrecht.

Die Rückmeldungen der Lehrkräfte auf die zweite Lehrkräftefortbildung des Zentrums Erinnerungskultur waren überaus positiv. Auch aufgrund des vielfach geäußerten Wunsches nach weiteren Fortbildungsmöglichkeiten werden auch künftig Angebote für Lehrkräfte folgen. Darüber hinaus ist die Veröffentlichung eines Sammelbandes zur Fortbildung geplant, in dem neben fachwissenschaftlichen Überblicken zum neuen Lehrplanbereich auch konkrete Unterrichtsvorschläge mit Quellen und Materialien veröffentlicht werden sollen.