Was ist mein Daheim? Vertriebene in Cadolzburg

Interaktive Sonderausstellung

Die interaktive Sonderausstellung „Was ist mein Daheim? Vertriebene in Cadolzburg“ beleuchtete die Geschichte der aufgrund des Zweiten Weltkriegs aus ihrer Heimat vertriebenen Deutschen und die Erinnerungen der Cadolzburger*innen daran. Von 23. August bis 30. November 2024 konnten Besucher*innen die Ausstellung im Historischen Museum Cadolzburg nicht nur ansehen, sondern auch mitgestalten.

Die Ausstellung wurde von Studierenden der Public History und Kulturvermittlung entwickelt und durch das Zentrum Erinnerungskultur, den Heimatverein Cadolzburg und die Gemeinde Cadolzburg gefördert.

Das Team teilt einen Blick hinter die Kulissen…

Das mittelfränkische Cadolzburg am Freitag, den 23. August 2024. Der Tag der Eröffnung unserer Sonderausstellung im Historischen Museum der Gemeinde. Gemeinsam gehen wir noch einmal durch die Ausstellung, die wir in den letzten drei Monaten geplant und in dieser Woche fertiggestellt haben.

Nun stellen sich große Fragen: Wird das Thema unter dem Titel Was ist mein Daheim? Vertriebene in Cadolzburg auf nennenswertes Interesse stoßen? Haben wir die richtigen Akteur*innen angesprochen, die richtigen Fragen gestellt? Spielt die Erinnerung an Flucht und Vertreibung im Ortsgedächtnis noch eine Rolle? Und fühlen sich die Betroffenen repräsentiert?

Die Ausstellung steht am Ende einer langen Recherche. Benedikt Müller, ein Mitglied unseres Teams und gebürtiger Cadolzburger, verfasste seine Masterarbeit unter dem Titel Heimatvertriebene in Cadolzburg. Zwischen Integration und der Suche nach Identität. Die Ergebnisse dieser Arbeit sollten jedoch nicht auf dem Papier verbleiben, sondern in Form einer Ausstellung auch in den Austausch mit der lokalen Bevölkerung treten. Dafür fanden wir uns als kleines Team zusammen: Neben Benedikt Müller arbeiten Tamara Bielesch, Franziska Fronhöfer, Alex Iliescu und Sarah Staufer seit Mai 2024 an der Idee und Umsetzung. Wir kennen uns durch unser gemeinsames Studium des Masters Public History und Kulturvermittlung an der Universität Regensburg.

Grundlage unserer Arbeit waren zwölf Interviews mit Zeitzeug*innen. Manche von ihnen haben die Vertreibung selbst erlebt oder gehörten zu den Cadolzburger Familien, die Vertriebene aufnehmen mussten. Die meisten Befragten blicken aus der Nachgeborenenperspektive auf Familienerinnerungen sowie verdrängte Ereignisse und Erlebnisse, aber auch auf Fragen der eigenen Identität.

Gemeinsam definierten wir Ziele, die wir mit der Ausstellung verfolgten: 

SPOTLIGHTS SETZEN

Das Thema der Vertreibung und des Ankommens, das in der Geschichtsschreibung der 11.000 Einwohner*innen zählenden Gemeinde bisher eher eine Nebenrolle gespielt hat, sichtbar machen.
Spuren der Geschichte in der Gegenwart nachzeichnen, seien es Straßenschilder oder die örtliche Musikgruppe.

ZU WORT KOMMEN LASSEN

Die Betroffenen sprechen lassen: neben den Zeitzeug*innen insbesondere auch die nachfolgende Generation, die in Cadolzburg geboren wurde.
Interaktion und Multiperspektivität ermöglichen.

KRITISCH DISKUTIEREN

Einen örtlichen Gedenkstein für die Vertriebenen, dessen revisionistische Inschrift von einem Unterstützer der NPD verfasst worden ist, zur Debatte stellen.

Zur Arbeit an einer Ausstellung gehören viele Aspekte. Durch unser kleines Team konnte und musste sich jede*r in verschiedene Aufgabenbereiche einbringen: Das grundsätzliche Design der Ausstellung wie die Farbauswahl oder die Materialien der Tafeln; der inhaltliche Aufbau und die Auswahl der Themen; die Kommunikation mit lokalen Stakeholdern; die Öffentlichkeitsarbeit von Social Media bis zu Interviews mit Radiosendern; die Planung eines Begleitprogramms mit einem Erzählcafé und dialogischen Rundgängen.

Immer wieder kam es zu Verhandlungen in der Gruppe: Welche Sprache wollen wir verwenden? Welche Inhalte sind wichtig – aber vielleicht doch nicht wichtig genug, um ihren Platz im begrenzten Ausstellungsraum zu finden? Welche Objekte können wir ausstellen, welche Stimmen hörbar machen? Wie können wir einem so komplexen Thema gerecht werden? Und wie können wir die Räumlichkeiten im Historischen Museum bestmöglich nutzen, um unsere Ziele zu erreichen?

Als besonders anregend erwies sich für uns einer der zur Verfügung stehenden Ausstellungsräume mit Giebeldachschrägen, mit dem wir sofort einen Dachboden assoziierten. Dieser Raum als Speicher von Familienerinnerungen, als Ort der Erkundung von möglichen Schätzen, aber auch als Ort der Auseinandersetzung mit wenig präsenten oder sogar verdrängten Themen – wie beispielsweise Traumata um Flucht und Vertreibung – erschien uns als optimale Einladung an die Besuchenden, ihre eigene Familiengeschichte zu reflektieren. Das Motiv des Dachbodens wurde daraufhin für uns auch zu einem zentralen Designelement, weil es die von uns aufgeworfenen Fragen so gut repräsentierte.

Als Testballon eröffneten wir den ersten, partizipativ angelegten Teil der Ausstellung in unserem „Dachbodenraum“ bereits Ende Juli. Besuchende sind dort seitdem eingeladen, in den drapierten Kisten und Koffern nach Spuren einer fiktiven Familiengeschichte zu suchen, die durch Flucht und Vertreibung beeinflusst ist. Dabei ermutigen wir sie, z. B. an einem offenen Koffer Fragen zu formulieren, die sie ihren Eltern und Großeltern gerne gestellt hätten. Um Migrationswege zu verdeutlichen, können auf einer großen Weltkarte neben der eigenen Herkunft auch die Geburtsorte der (Groß-)Eltern markiert werden. 

Sowohl hier als auch im zweiten, mehr textlastig und eher klassisch konzipierten Teil war uns Partizipation und Multiperspektivität sehr wichtig, auch weil uns früh klar wurde, dass viele Menschen eine Verbindung zum Thema haben, die sie gerne teilen möchten. In der gesamten Ausstellung regen u. a. Fragen dazu an, jedes Objekt, jeden Text, jedes Designelement mit Post-Its und Stift zu kommentieren. Aus unserer Sicht hat diese Herangehensweise eine Vielzahl von Vorteilen: Besucher*innen müssen nicht passiv konsumieren, sondern können aktiv mitgestalten. Außerdem können sie so miteinander in Austausch treten, ohne dass sie gleichzeitig anwesend sein müssen. Der Besuch der Ausstellung gewinnt so auch für Einzelpersonen an Attraktivität. Uns als Kurator*innen ermöglicht diese Methode, unsere eigenen Leerstellen offenzulegen und direkt nach Feedback und Erweiterungen von Perspektiven zu fragen: Wir wollen weniger die Geschichte der Vertriebenen in Cadolzburg erzählen und deuten, sondern vielmehr einen Raum schaffen, in dem Menschen ihre Erfahrungen und ihre Positionen zu dem Thema teilen können.

Der Rundgang im zweiten Teil der Ausstellung gestaltete sich so, dass die Besuchenden eine Reise von der Ankunft der Vertriebenen in Cadolzburg bis in die gegenwärtige Erinnerungskultur an die Geschehnisse und das Zusammenwachsen von „Neubürger*innen“ und „Altcadolzburger*innen“ (sic!) durchlaufen sollten. Mit Untertexten setzen wir verschiedene Spotlights, die von Begriffsverwendungen wie „Flüchtlinge“ zur Bedeutung von Musik für Zugehörigkeitsgefühle reichen. Ergänzt wird jedes Thema, jeder Text durch Ausschnitte aus Berichten von Zeitzeug*innen oder aus teils kontroversen Kommentaren von Interviewpartner*innen. Über einen Audioguide können Besuchende ein Gefühl dafür bekommen, wie Zeitzeug*innen und nachfolgende Generationen über das Thema erzählen und ihre Gedanken und Erlebnisse in Sprache fassen. Die Auswahl geeigneter Zitate und Quellen sowie das Verfassen verständlicher und informativer Texte unterlag klaren Leitprinzipien und mehreren Korrekturzyklen. Den verwendeten Interviewzitaten und der Leihe der Gegenstände gingen intensive, wertschätzende Gespräche voraus.

Von Beginn an stellte sich uns außerdem die Frage, wie wir eine interaktive Auseinandersetzung mit dem Gedenkstein an die Vertreibung in der Mitte der Gemeinde ermöglichen können. Wir wollten zwar unsere Kritik an der Inschrift und dem Verfasser deutlich machen, jedoch nicht belehrend wirken. Durch Zeitungsartikel und Zitate kontextualisieren wir Autor und Text, bevor wir die Frage stellen, wie eine Gedenksteininschrift aus heutiger Sicht aussehen könnte. Besuchende werden motiviert, selbst einen Vorschlag zu verfassen oder bereits bestehende Vorschläge zu kommentieren. Durch die aufgehängten Kommentare und Vorschläge entstand so eine kleine Debatte um diese erinnerungskulturelle Frage.

Am Ende übertraf der Zuspruch schon bei der Eröffnung unsere Erwartungen: Über 50 Personen folgten am Abend des 23. August den kurzen Einführungsreden und dem Podiumsgespräch zwischen zwei Zeitzeug*innen zweiter Generation und wurden direkt zu Mitgestalter*innen der Ausstellung, indem sie ihre Gedanken auf Post-Its in der Ausstellung anbrachten. Im Verlauf des Abends konnten wir noch vielen, teils sehr emotionalen Gesprächen über Familiengeschichte(n) und eigene Identität(en) folgen und beobachten, wie Menschen mit völlig unterschiedlichen Perspektiven ins Gespräch kamen. Im Laufe der nächsten Wochen füllte sich die Ausstellung mit Post-Its, viele Menschen nahmen sogar direkt Kontakt mit uns auf, um ihre Gedanken zu teilen.

Nach dem Eröffnungstermin setzten wir punktuell Impulse, um das Themenfeld „Zugehörigkeit und Ausgrenzung“ auch außerhalb der Ausstellung zum Gesprächsthema zu machen. Neben einer Gesprächsrunde in der örtlichen Tagespflege veranstalteten wir ein Erzählcafé, bei dem die Besuchenden Gegenstände vorstellen konnten, die sie an ihr „Daheim“ erinnern. Um die Stadtbevölkerung mit dem Thema zu konfrontieren, hängten wir 30 an Wahlwerbung erinnernde Plakate in der Stadt auf. Teils zeigten diese, welche Denkmäler und Gebäude (manchmal unbekannterweise) mit der Geschichte von Vertreibung und Integration in Zusammenhang stehen, teils formulierten sie aber auch allgemeine Fragen zu Identität und Zugehörigkeit in der Gegenwart. 

Wie blicken wir auf die letzten Monate zurück? 

Die Organisation einer Ausstellung innerhalb kürzester Zeit, neben unserem Studium und Jobs, kostete uns alle viel Energie. Nicht immer herrschte in unserer kleinen Gruppe Einigkeit und es ist klar, dass sich bei den vielen „ersten Malen“ auch besondere Herausforderungen stellten. Am Ende sind wir jedoch vor allem stolz auf unser erreichtes Ziel. Wir sehen, dass wir eine Debatte über den Umgang mit lang unterdrückten Erinnerungen, aber auch gegenwärtigen Fragen nach Zugehörigkeit und Migration nicht nur in der Ausstellung, sondern auch außerhalb anstoßen konnten. So wurden die von uns gestalteten Plakate in der örtlichen Facebook-Gruppe diskutiert, ebenso behandelte eine aktuelle Ausgabe der evangelischen Kirchenzeitschrift Fragen um Heimat und Identität. Häufig wurde rückgemeldet, dass Menschen nach dem Besuch mit ihren Eltern und Großeltern noch einmal – oder endlich einmal – über Fragen sprechen, die ihnen schon lange auf der Zunge liegen. 

Wir sind der Überzeugung, dass ein wirklicher Austausch und die Möglichkeit für Kritik in Ausstellungen grundlegend für Veränderungen sind. Besonders freuen uns die persönlichen Gespräche sowie das Wachsen der Ausstellung nicht nur durch Post-Its, sondern auch durch Gegenstände, die ihren Weg in die Räume finden. Flucht und Vertreibung sind kein Phänomen der Vergangenheit. Wir hoffen, durch unser Projekt auch zu einer Auseinandersetzung mit den Debatten der Gegenwart beizutragen.

Unser herzlicher Dank gilt all unseren Unterstützer*innen und Förder*innen und v. a. den Menschen, die ihre Geschichten und Perspektiven mit uns geteilt haben.

Wir danken dem studentischen Team für seinen Projektbericht. Der Beitrag und alle enthaltenen Bilder sind urheberrechtliches Eigentum von Tamara Bielesch, Franziska Fronhöfer, Alex Iliescu, Benedikt Müller und Sarah Staufer.