Keine Gegenwart existiert ohne Erinnerung an die Vergangenheit
Für die Gegenwart der Vergangenheit hat sich der Begriff Erinnerungskultur etabliert. Heute ist der Begriff im wissenschaftlichen wie öffentlichen Geschichtsdiskurs omnipräsent. Seine inflationäre Verwendung macht den Terminus jedoch fast beliebig und seine Definition schwierig. Mit Erinnerungskultur werden gesellschaftliche Selbstverständigungen etikettiert, aber auch individual- und kollektivpsychologische Prozesse bezeichnet. Als Erinnerungskultur firmieren politische Programme und alltagskulturelle Praxen, mit ihr werden hegemoniale Deutungsmuster und soziale Machtfragen verhandelt, verfestigt oder infrage gestellt. So sind Erinnerungskulturen häufig umstritten, immer jedoch vielstimmig.
Das Zentrum Erinnerungskultur (ZE) nimmt diese Komplexität in ihren Ausprägungen und Dimensionen ernst
Es versteht sich als wissenschaftlich-diskursives Forum für die Auseinandersetzung und kritische Reflexion historischer und gegenwärtiger Erinnerungskulturen. Den Begriff „Erinnerungskultur“ in der Benennung des Zentrums fassen wir bewusst heuristisch weit – als pragmatischen Kollektivsingular. Er macht darauf aufmerksam, dass im ZE nicht nur konkrete Erinnerungspraktiken und -diskurse untersucht werden, sondern auch das Begriffsfeld „Erinnerungskultur“ selbst Thema ist. Zugleich dient er als Ausgangspunkt und Inspirationsquelle für die kritische Auseinandersetzung mit den vielfältigen ästhetischen, politischen und kognitiven, aber auch kommerziellen, populärkulturellen, performativen sowie virtuell-medialen Facetten des öffentlichen Umgangs mit Geschichte.
Inter- und transdisziplinärer Blick auf Formen, Bedingungen, Möglichkeiten und Wirkungen historischen Erinnerns
Das ZE beschäftigt sich in inter- und transdisziplinärer Perspektive mit Formen, Bedingungen, Möglichkeiten und Wirkungen historischen Erinnerns und fragt nach den Aushandlungsprozessen, Darstellungsmodi und Praktiken des Umgangs mit Erinnerung und Geschichte. Dies geschieht mit doppelter Blickrichtung: der systematischen Untersuchung von Erinnerungskulturen als Forschungsgegenstand sowie dem ‚reflektierten Machen‘ von Geschichte in öffentlichen Räumen. Das Zentrum schafft somit in verschiedenen Formaten eine Schnittstelle zwischen erinnerungskultureller Praxis und Theorie, bei der sich Akteur*innen auf Augenhöhe begegnen.
Das ZE will darüber hinaus den engen Austausch von akademischer erinnerungskultureller Forschung und Akteur*innen öffentlicher Erinnerung und Geschichte fördern, experimentell anregen und dadurch gesellschaftliche Erinnerungsprozesse kritisch hinterfragen sowie aktiv mitgestalten. Dazu zielt das ZE auf eine enge Verknüpfung von Forschung, Lehre und gesellschaftlicher Praxis. Organisatorisch fungiert es als Plattform für Forschende aus unterschiedlichen Disziplinen sowie Praktiker*innen. Innerhalb der Universität knüpft das Zentrum thematisch und methodisch an den Masterstudiengang „Public History und Kulturvermittlung“ an und eröffnet darüber hinaus Kooperationsmöglichkeiten mit anderen geistes-, kultur- und sozialwissenschaftlichen Studiengängen.
Ein zeitlicher Schwerpunkt liegt auf der Erinnerungsgeschichte des Nationalsozialismus und des Holocaust. Das ZE beschränkt sich allerdings nicht darauf und nimmt auch andere historische Epochen in den Blick. In den Aktivitäten des Zentrums werden Erinnerungskulturen in einer längeren historischen Perspektive betrachtet, aber auch auf aktuelle gesellschaftliche Debatten und Kontroversen bezogen, etwa den Umgang mit dem kolonialen Erbe westlicher Gesellschaften.
Das Zentrum Erinnerungskultur versteht sich
- als Möglichkeitsraum, um Erinnerungskultur in Forschung wie Lehre in innovativen und anwendungsorientierten Formaten zu thematisieren
- als Laboratorium zur diskursiv-reflektierten Standortbestimmung der Begriffe und Phänomene ‚Erinnerung‘ und ‚Geschichte in der Öffentlichkeit‘
- als Impulsgeber und Resonanzraum für einen vielfältigen gesellschaftlichen Diskurs