01.10.2025

„Inszenierung, Schnappschuss, Dokumentation. Fotografien aus dem Lagerkomplex Flossenbürg“

Buchvorstellung mit Julius Scharnetzky, M.A. und Prof. Dr. Jörg Skriebeleit

Im Rahmen der Reihe „Debatten und Positionen zur Erinnerungskultur“ des Zentrums Erinnerungskultur am 16.09.2025 stellten Julius Scharnetzky, M.A. und Prof. Dr. Jörg Skriebeleit im PresseClub Regensburg ihr neues Buch vor: „Inszenierung, Schnappschuss, Dokumentation. Fotografien aus dem Lagerkomplex Flossenbürg“.

Der Band entstand in enger Kooperation zwischen dem Zentrum Erinnerungskultur der Universität Regensburg und der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg. Er vereint über 300 bislang meist unveröffentlichte Fotografien, die im Lagerkomplex Flossenbürg entstanden, und ordnet diese in ihre Entstehungs- und Überlieferungskontexte ein.

Bei der Präsentation im Regensburger PresseClub sprachen die Herausgeber mit Moderatorin Margit Ringer vom Bayerischen Rundfunk über die Entstehung und Bedeutung der Publikation. 

Ein neuer Blick auf historische Fotografien

Fotografien waren in den Konzentrationslagern nicht nur Teil bürokratischer Abläufe, sondern zugleich Mittel der Selbstinszenierung und Machtausübung. Die Beiträge des Buches verdeutlichen, dass Aufnahmen nicht ‚neutrale Dokumente‘ sind, sondern stets aus spezifischen Perspektiven entstehen: für den internen Gebrauch der SS, zur Verwaltung und Kontrolle. SS-Angehörige fotografierten aber auch zu privaten Zwecken im direkten Umfeld der Lager. Dabei handelt es sich teils um Ausflugsbilder, inszenierte Szenen oder Schnappschüsse, die erst auf den zweiten Blick den Ort und den historischen Kontext erkennen lassen.

Besondere Aufmerksamkeit widmen die Herausgeber den Bildwelten, die eine ‚Normalität‘ des Lagerlebens vorgaukeln: Fotos, die Wachmannschaften bei alltäglichen Verrichtungen zeigen oder architektonische Details inszenieren. Sie offenbaren die subtile, aber wirkungsvolle Strategie der Täter, Gewalt und Verbrechen zu überblenden und stattdessen ein Bild von Ordnung, Effizienz und Professionalität zu erzeugen. 

Darüber hinaus öffnen essayistische Miniaturen das Material für interdisziplinäre Perspektiven: Historiker*innen, Kulturwissenschaftler*innen, Philosoph*innen sowie Autor*innen mit persönlichen Zugängen kommentieren einzelne Aufnahmen. Dadurch entsteht ein vielstimmiger Band, der die Vielschichtigkeit der visuellen Überlieferung aufzeigt und Leser*innen dazu einlädt, die Fotos kritisch und kontextsensibel zu betrachten.

„Es darf keine Gedächtnislücken geben“

Zu Beginn der Veranstaltung betonte UR-Präsident Prof. Dr. Udo Hebel die Bedeutung der Publikation: „Der Band ist eine ebenso beeindruckende wie erschütternde Publikation – sie gibt uns die Möglichkeit, Fotoaufnahmen aus der Zeit des KZs Flossenbürg zu betrachten und diese ‚Abbildungen‘ und ‚Darstellungen‘ zu entlarven. Fotos sind keine ‚einfachen Abbildungen‘, sondern hochkomplexe Repräsentationen von Realitäten – stets ideologisch konnotiert, inszeniert und mit klarer Wirkrichtung versehen.“ Mit Blick auf die Gegenwart unterstrich er den Auftrag der Universität: „Die aktive Erinnerungsarbeit darf zu keinem Zeitpunkt nachlassen. Die Linien der Erinnerung dürfen nicht verschoben werden, und es darf keine Gedächtnislücken geben. Es ist unsere Verantwortung, klar gegen Geschichtsvergessenheit, gegen Erinnerungsrevisionismus und insbesondere gegen Antisemitismus einzutreten.“

Moderiert von Margit Ringer entwickelte sich im Anschluss eine vielschichtige Diskussion mit den beiden Herausgebern. Auf die Eingangsfrage, wie Fotografien grundsätzlich als Quelle zu verstehen seien, betonte Prof. Dr. Jörg Skriebeleit: „Wir müssen diese Bilder immer doppelt lesen – als historische Quelle und zugleich als Inszenierung. Das Buch und die Fotos aus dem KZ Flossenbürg sind ein Beweis – für Taten, für Morde, für die Sichtbarkeit der Konzentrationslager für die Öffentlichkeit und alles, was damit zusammenhängt: Einbettung in ein ziviles Umfeld, Arbeitsteiligkeit, Inszenierung. Wir zeigen private Umfelder von SS-Männern, Inszenierungen von Macht und das bewusste Ausblenden von Häftlingen, obwohl sie auf den Bildern präsent sind.“

Die zentrale Frage nach der Täterschaft – „Wie konnten Menschen Menschen so etwas antun?“ – drücke sich auf geradezu banale Weise in den Fotografien aus.

Entstehung und wissenschaftliche Einordnung

Laut der beiden Herausgeber war die Arbeit am Buch ein langwieriger Prozess. Das lag unter anderem an der besonderen Schwierigkeit, an die Analyse der einzigen offensichtlichen Gewaltdarstellung im Buch heranzugehen – die Exekutionsfotos von Julian Majka. Bei den genannten Bildern handelt es sich um die von der SS in einer fünfteiligen Bildreportage dokumentierte Ermordung eines polnischen Zwangsarbeiters. Sein Verbrechen? Er hatte sich in eine deutsche Frau verliebt. Die zentrale Frage war, wie man mit diesen Gewaltdarstellungen umgeht. Entwürdigt man die Opfer ein zweites Mal, wenn man sie aus Täterperspektive zeigt? 

Schlussendlich findet Skriebeleit seinen Zugang zur Bildanalyse über den Weg, den die Bilder von ihrer Entstehung bis zur Abgabe in der KZ-Gedenkstätte genommen haben, sowie der Tatsache, dass der Journalist Thomas Muggenthaler (Bayerischer Rundfunk) in seinen langjährigen Recherchen zu diesem und ähnlichen Morden der SS an weitere Bilder von Julian Majka gelangt war. Diese zeigen den später Ermordeten „sitzend auf einer Bank, zwangsverpflichtet, aber verliebt, über alle erfundenen rassistischen Normierungen hinweg“, wie es im Beitrag von Jörg Skriebeleit heißt.

„So ist der Aufsatz über die Erhängung eigentlich ein Aufsatz über die Spurensuche, die sich mit der Überlieferung dieser Bilder beschäftigt und die Leser*innen im besten Sinne dabei mitnimmt, wie wir bei der Betrachtung solcher Bilder zu Erkenntnissen kommen. Wie wir erst einmal nicht weiterkommen und wie wir uns den Opfern als Opfer nähern und sie nicht voyeuristisch ausstellen.“

Julius Scharnetzky ergänzte zudem, dass das Buch einen systematischen Ansatz verfolge und nicht auf einen ‚Sensationsfund‘ setze: „Wir wollen eine Anregung geben, sich mit Überlieferungen aus Lagerkomplexen analytisch auseinanderzusetzen, ohne sensationalistisch zu arbeiten. Das Buch soll einen Beitrag sowohl zum Büchermachen, als auch zum wissenschaftlichen, klugen Arbeiten liefern und ist zugleich ein Statement, das Diskussionen in familiären und wissenschaftlichen Kreisen anstoßen soll.“

„Wenn wir über Gewalt sprechen, müssen wir konkret werden“

Ein weiterer Schwerpunkt der Diskussion lag auf der Frage, wie die Auseinandersetzung mit solchen Bildern in die Gegenwart hineinwirkt. „Wir leben in einer Zeit, in der Bilder enorme Deutungsmacht besitzen. Das kritische Lesen von Bildern ist deshalb nicht nur ein akademischer Akt, sondern eine demokratische Kompetenz“, so Scharnetzky.

Skriebeleit ergänzt: „Uns war klar, dass wir diesen Bildern, die ohnehin in der Welt sind, nicht ausweichen dürfen. Wir müssen mit ihnen arbeiten, müssen sie dekonstruieren und einordnen. Junge Menschen sind tagtäglich einer Flut von Bildern ausgesetzt, die manipuliert, von einer KI bearbeitet oder sogar erstellt sind. Insofern ist es für uns auch im pädagogisch-didaktischen Sinne notwendig, eine mögliche Kritik von Bildwelten an die Hand zu geben, die auch in einem sehr aktuellen Kontext funktioniert.“

Abschließend wollte die Moderatorin von den beiden Herausgebern noch wissen, wie sie selbst die Bilder des Buches verarbeiten. Für Julius Scharnetzky sind es vor allem „gewisse Routinen und Strategien“, die man sich zurechtlegen müsse. „Sonst könnte man damit nicht arbeiten, weil man es nicht aushält.“

„Für mich war es trotz dieser Routinen und Strategien sehr schwer z. B. über die fünf Bilder der Erhängung zu schreiben“, erklärt Skriebeleit. „Diese Bilder zeigen nicht nur das ‚Endprodukt‘ von Mord, sondern sie zeigen das Beenden eines Lebens in ganz kurzen Abschnitten, wie man es für eine Akte dokumentiert. Für mich war die Strategie damit umzugehen, einen sehr persönlichen Einstieg zu finden, in dem ich darauf eingehe, warum es mir so schwerfällt, darüber zu schreiben. Der Journalist Thomas Muggenthaler, der einen Teil der Bilder gefunden hat, hat ja tatsächlich im Rahmen seiner Recherche die Familie in Polen ausfindig gemacht. Sie wusste bis vor wenigen Jahren nicht, was mit Julian Majka passiert war. Das hat es für mich noch einmal anders kontextualisiert. Es ist kein Happy End, aber wir haben die Familie informiert und uns mit ihr in Kontakt gesetzt. Es ist etwas, woraus wir die Hoffnung schöpfen konnten, dass unsere Arbeit nicht sinnlos ist.“

„Zudem müssen wir, wenn wir über Gewalt sprechen, konkret werden“, so Skriebeleit, der damit auf eine Aussage des Gewaltsoziologen Wolfgang Sofsky verweist. Das sei bisweilen zwar kaum auszuhalten, aber „wir müssen uns diese Mühe machen und dürfen uns nicht in Floskeln flüchten.“ Nur dann könne man den Kern tiefster Enthumanisierung auch benennen. 

Fazit

Die Buchvorstellung machte eindrücklich deutlich, wie notwendig eine kritische Auseinandersetzung mit historischen Fotografien bleibt – sowohl für die wissenschaftliche Forschung als auch für die gesellschaftliche Erinnerungskultur. Das Werk von Scharnetzky und Skriebeleit leistet hierzu einen nachhaltigen Beitrag und verdeutlichte an diesem Abend: Erinnerung darf nie nachlassen und bleibt ein Auftrag für Gegenwart und Zukunft.

Wir danken der dem Autor Bastian Schmidt für die Erlaubnis, seinen Beitrag aus dem ScienceBlog der Universität Regensburg hier zu teilen. Einige Bilder und Bildunterschriften wurden in dieser Version verändert.


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