06.08.2025

Exkursionen in die bayerisch-böhmische Grenzregion

Projektseminar zu Besuch in Domažlice, Furth im Wald und Schönsee

Im Rahmen des Projektseminars „Bayern, Böhmen und die Grenze: Erzählen, Visualisieren, Ausstellen“, fanden im Sommersemester 2025 unter der Leitung von Prof. Dr. Bernhard Löffler, Prof. Dr. Jörg Skriebeleit und Felix Bruckner zwei Exkursionen in die bayerisch-tschechische Grenzregion statt. Teilnehmende dreier Masterstudiengänge gingen dabei an verschiedenen Stationen der Frage nach, auf welche Weise die bayerisch-tschechische Grenze vor Ort sowohl historisch als auch gegenwärtig verhandelt, ausgestellt, (re-)präsentiert und wahrgenommen wird. Außerdem beschäftigten sie sich mit unterschiedlichen Projekten zur Förderung von grenzübergreifender Kulturarbeit und transnationalem Austausch.

Seminargruppe am Fußgängergrenzübergang Untergrafenried–Lučina im Mai © Felix Bruckner
Seminargruppe auf der Bügellohe im Juni © Felix Bruckner

Von den Choden zur Landesgartenschau – zwischen Čerchov und Hohem Bogen

Im Mai führte die erste zweitägige Exkursion die Seminarteilnehmenden über verschiedene Stationen von Domažlice bis Furth im Wald. Von Regensburg ging es mit dem Bus zunächst nach Újezd im Chodenland. Dort setzte sich die Seminargruppe mit der für die Region bedeutenden tschechischsprachigen Volksgruppe der Choden auseinander, die als freie Bauern und Grenzwächter lange besondere Privilegien besaßen, später von der tschechischen Nationalbewegung wiederentdeckt wurden und bis heute identitätsstiftende Funktion in der Region haben. Anknüpfungspunkt war ein Denkmal für Jan Sladký Kozina von Ende des 19. Jahrhunderts, den legendären Anführer des Aufstandes zur Verteidigung der chodischen Sonderrechte im 17. Jahrhundert. Der Ort bot Gelegenheit, die für die Region typische Symbolsprache (z. B. Hundeköpfe, Äxte, Blumenmuster) zu thematisieren.

Denkmal für Jan Sladký Kozina auf dem Hügel Hrádek bei Újezd © Noomi Andrich
begehbare Statue eines Chodenhundes auf dem Hügel Hrádek bei Újezd © Felix Bruckner

Von Újezd ging es weiter in die Stadt Domažlice. Ein persönlicher Austausch mit der engagierten Historikerin, Ausstellungskuratorin und Vorsitzenden des Vereins Chodsko žije! (Das Chodenland lebt!) Kristýna Pinkrová bot dort vielseitige Einblicke in zwei Projekte, die sich mit der Landesgrenze beschäftigen. Erst stellte Frau Pinkrová das von ihr initiierte Projekt Hindle vor. Hauptziel von Hindle ist es, einem tschechischen sowie deutschen Publikum die häufig peripher wahrgenommene Region zwischen Pilsen und Regensburg näher zu bringen, diese als zentralen Zwischenraum neu zu interpretieren und so grenzüberschreitend Verbindungen zu schaffen. Im Gespräch mit Pinkrová erhielten die Studierenden einen Einblick in die tschechische Perspektive auf das Grenzgebiet, in die Kulturarbeit im ländlichen Raum und besonders in die regionale Identität des Chodenlandes, etwa bezogen auf Tracht und Musik. Danach gab Frau Pinkrová den Seminarteilnehmenden eine Führung durch die von ihr konzipierte zweisprachige Ausstellung mit dem Titel „Pozor hranice! / Achtung Grenze!“, die sich seit 2022 im Kulturzentrum in der reaktivierten Brauerei von Domažlice befindet. Die chronologisch aufgebaute Ausstellung thematisiert das jahrhundertelange Zusammenleben von Tschechen und Deutschen in der Grenzregion Český les / Böhmischer Wald. Zum Abschluss des Ausstellungsbesuches kam die Seminargruppe zu einer ersten Reflexionsrunde zusammen, um die gewonnenen Eindrücke über den Aufbau und die Wirkung der Ausstellung zu sammeln sowie deren Perspektive zu diskutieren.

Ausstellungskuratorin Kristýna Pinkrová bei der Führung durch die Ausstellung „Pozor hranice! / Achtung Grenze!“ im Kulturzentrum der Stadt © Felix Bruckner
Seminargruppe im Gespräch mit Kristýna Pinkrová im Kulturzentrum Hindle © Marie Rieker

In der Innenstadt von Domažlice entdeckten die Teilnehmenden konkurrierende Deutungen in Bezug auf die Befreiung der Region nach dem Zweiten Weltkrieg. Eine künstlerische und eher abstrakte Perspektive auf das Thema Grenze eröffnete am späten Nachmittag dann ein am Rand der Stadt entlang von Feldern gelegener Skulpturenpfad. Dieser führte die Gruppe auf den Hügel Baldov – den Schauplatz der Schlacht bei Domažlice, bei der die Hussiten 1431 über die römisch-katholischen Kreuzzügler siegten.

Erinnerung an das Ende des Zweiten Weltkriegs im öffentlichen Stadtraum von Domažlice © Esther Abraham
Denkmal für die hussitische Schlacht bei Domažlice am Ende des Skulpturenpfades auf den Hügel Baldov © Felix Bruckner

Der zweite Exkursionstag begann mit einer Wanderung ins „verschwundene“ Dorf Lučina (ehemals Grafenried), das nur zu Fuß erreichbar ist. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurden seine überwiegend deutschsprachigen Bewohnenden zwangsausgesiedelt und das Dorf, das aufgrund seiner Grenznähe in der Sperrzone lag, wurde nach und nach eingeebnet. Heute sind in Lučina inmitten von Wald und Wiesen deutlich die Überreste der ehemaligen Gebäude zu sehen, die durch Informationstafeln ergänzt werden. Grund dafür ist die Tätigkeit interessierter tschechischer und deutscher Hobbyarchäologen und Heimatforschender, die sich seit 2011 der Ausgrabung von Grafenried widmen. Ein zufälliges Zusammentreffen mit einem von ihnen bot unerwartet weiteren Stoff für Überlegungen zu den dort involvierten Akteuren, ihren Motivationen und Interessen.

im „untergegangenen“ Dorf Grafenried/Lučina © Noomi Andrich
im „untergegangenen“ Dorf Grafenried/Lučina © Noomi Andrich

Vom Bus aus ergaben sich immer wieder Ein- und Ausblicke – etwa in den nach der Zwangsaussiedlung neubesiedelten Ort Nemanice, in die liminalen Zonen von Grenzübergängen oder zum ehemaligen „Grenzhotel Bayerische Ostmark“ in Herzogau. Vor allem aber konnten die Teilnehmenden Blickbeziehungen innerhalb der Region nachvollziehen, vorgegeben etwa durch die Präsenz von Abhörtürmen aus der Zeit des „Eisernen Vorhangs“ auf den Bergen Čerchov und Hoher Bogen.

Auf dem Skulpturenpfad am Hügel Baldov © Noomi Andrich
Ausblick auf das Chodenland, im Hintergrund zwei Berge mit ehemaligen Abhörtürmen, links der Hohe Bogen (Bayern), rechts der Čerchov (Böhmen) © Felix Bruckner

Die letzte Station der Exkursion bildete Furth im Wald. Hier setzten sich die Studierenden im Landestormuseum zunächst mit der Ausstellung „Grenzerfahrungen“ auseinander, in der ebenfalls das Grenzthema – diesmal aus einer deutschen Perspektive – verhandelt wird. Die Studierenden stellten Bezüge zu bisher Gesehenem her und verglichen die Ausstellung mit der Ausstellung in Domažlice, die in einem gemeinsamen INTERREG-Projekt entstand. Besonders die Thematik der Hussiten, die im Further Volksschauspiel „Drachenstich“ zentral ist, bot hier Anknüpfungspunkte an den Vortag in Domažlice.

Landesgartenschau Furth im Wald, hier ein Beet mit dem Thema Grenze © Magali Röhrich
ehem. Festspieldrache im Landestormuseum © Noomi Andrich

Abschließend hatte die Seminargruppe die Möglichkeit, noch vor der offiziellen Eröffnung das Gelände der Landesgartenschau 2025 zu besuchen. Pressesprecherin Heidi Wolf und Baukoordinator Josef Beer gaben Einblicke in die Bedeutung, die die Landesgartenschau für Furth im Wald hat und in die Hoffnungen, die an sie geknüpft sind. Auch hier war das Thema Grenze präsent. So bemüht sich das Organisationsteam der Landesgartenschau um Werbemaßnahmen in Tschechien und hofft auf viele tschechische Besuchende. Institutionen wie das Centrum Bavaria Bohemia bringen sich mit Informationsständen und Veranstaltungsprogrammen – etwa zum Europäischen Grünen Band – ein. Diese letzte Station regte die Studierenden zur Diskussion über Infrastrukturprojekte in der Grenzregion und die Nachwirkungen des Falls des „Eisernen Vorhangs“ 1989 an.

Von Paschern, kulturellen Brückenbauern und Neuanfängen – rund um Schönsee

Auch die zweite eintägige Exkursion im Juni führte die Seminargruppe an und über die Grenze. Erstes Ziel war das im Jahr 2006 eröffnete Centrum Bavaria Bohemia in Schönsee. Das CeBB, das sich selbst als „Kulturdrehscheibe“ bezeichnet, ist seit 2016 im Auftrag der Bayerischen Staatsregierung Koordinierungsstelle für die bayerisch-tschechische kulturelle Zusammenarbeit. Ziel des vom Verein Bavaria Bohemia e. V. getragenen Centrums ist der Ausbau und die Vertiefung der kulturellen und partnerschaftlichen Zusammenarbeit in den bayerischen und tschechischen Nachbarregionen. Die Studierenden trafen vor Ort Birgit Höcherl, Mitarbeiterin des CeBB und ehemalige Bürgermeisterin von Schönsee. Höcherl gab der Gruppe Einblicke in die Arbeit des Centrums, insbesondere auch aktuell zum Grünen Band, und in ihre ehemalige Tätigkeit als Bürgermeisterin, in deren Rahmen sie sich auch stark für eine grenzüberschreitende Kulturarbeit eingesetzt hat. Sie berichtete von zwei von ihr mitinitiierten Freilichtfestspielen, an denen jährlich viele Bewohnende von Schönsee mitwirken. Die aufwändigen Theaterstücke – eine Herzensangelegenheit von Frau Höcherl – erzählen u. a. vom „Paschen“ (Schmuggeln), dem „Eisernen Vorhang“ und grenzüberschreitenden Liebesgeschichten. Nach dem anregenden persönlichen Austausch blieb noch Zeit, um sich die im CeBB befindliche zweisprachige Ausstellung zu Pfadfindern in Deutschland und Tschechien anzusehen.

CeBB-Mitarbeiterin Birgit Höcherl im Austausch mit den Studierenden © Felix Bruckner
Studierende in der Ausstellung „Allzeit bereit! Pfadfinder / Buď připraven! Skauti“ im CeBB © Felix Bruckner

Der Grenzort Friedrichshäng war schließlich Ausgangspunkt einer längeren Wanderung, zunächst über die Grenze ins „untergegangene“ Dorf Pleš. Pleš, ehemals Plöß, hat eine ähnliche Geschichte wie Lučina. Im Gegensatz zu Lučina wurden in Pleš jedoch mit Ausnahme des Friedhofs kaum Überreste des ehemaligen Dorfes freigelegt, im Gegenteil wurden Teile des Ortes rund um das Gasthaus Pleš mit Ferienhausgebäuden gewissermaßen „neubesiedelt“. Der Ort bot Anlass zu Diskussionen rund um die erinnerungskulturelle und persönliche Bedeutung von Friedhöfen sowie über die touristische Erschließung und Vermarktung der Gegend im Allgemeinen und „verschwundener“ Dörfer im Speziellen.

Friedhof von Pleš © Felix Bruckner
Mittagspasue im Gasthaus Pleš © Felix Bruckner

Nach dem Mittagessen wanderten die Seminarteilnehmenden weiter auf die Bügellohe auf der bayerischen Grenzseite, wo sich nach ihrer Zwangsaussiedlung elf deutschsprachige Familien ansiedelten – in der Hoffnung, bald wieder in ihren ehemaligen Wohnort Wenzelsbach in Böhmen zurückkehren zu können, der in nur einem Kilometer Entfernung in Sichtweite blieb. Aufgrund der harten Lebensbedingungen in einfachen Häusern ohne Strom und fließend Wasser, verließen die letzten von ihnen 1969 die Bügellohe – eine Herkunft, die lange Zeit als Stigma galt. Vor dem letzten noch bestehenden Gebäude auf der Bügellohe führte Maria Hammerer den Studierenden eine historische Szene vor, die auf einem Zeitzeuginneninterview mit Maria Wachter, ehemaliger Bewohnerin der Bügellohe, beruht. Frau Hammerer schlüpfte dabei in die Rolle der Maria Wachter und schilderte in einem Monolog das Leben auf der Bügellohe. Die schauspielerische Darstellung in Kombination mit der Atmosphäre des historischen Ortes entfaltete eine ganz eigene Wirkung und die Studierenden diskutierten die dargestellte Perspektive und ihre Darbietungsform im Nachgang kritisch.

gespielte Szene von Maria Hammerer auf der Bügellohe © Felix Bruckner

Den Abschluss der zweiten Exkursion bildete ein Besuch des sogenannten Böhmerwaldaussichtsturms. Dieser war Anfang der 1980er Jahre von Sudetendeutschen auf bayerischer Seite errichtet worden, um gewissermaßen über den „Eisernen Vorhang“ hinweg in ihre ehemalige Heimat blicken zu können. Von dort aus machte sich die Seminargruppe zu Fuß entlang der Grenze auf den Rückweg nach Friedrichshäng.

beim Wandern © Felix Bruckner
beim Wandern © Falk Bräcklein

Ausgehend von den vor Ort gesammelten Eindrücken und dank der dort geknüpften Kontakte mit lokalen Akteur*innen begannen die Studierenden, im Seminar eigene Konzeptideen für verschiedene Vermittlungsformate zu entwickeln, die sich thematisch mit unterschiedlichen Aspekten der bayerisch-böhmischen Grenze auseinandersetzen. Wir halten Sie auf dem Laufenden!

Das Projektseminar und die Exkursionen werden gefördert durch die Bayerisch-Tschechische Hochschulagentur sowie die Fakultät für Philosophie, Kunst-, Geschichts- und Gesellschaftswissenschaften der Universität Regensburg.
Ein großer Dank gilt unseren Gesprächs- und Kooperationspartner*innen vor Ort – in Domažlice, Furth im Wald, Schönsee und auf der Bügellohe.
Finden Sie hier einen Instapost des Studiengangs „Public History und Kulturvermittlung“ zur ersten Exkursion.


Bayern, Böhmen und die Grenze.
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