Der Kurs „A Translocal Exploration of Regional and National Memory Cultures in Bavaria and Czechia“ wurde gemeinsam von der Universität Regensburg und der Karls-Universität Prag durchgeführt und unter anderem durch das Zentrum Erinnerungskultur gefördert. Er widmete sich der lokalen und regionalen Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg anhand von Prag, Lidice, Regensburg und Flossenbürg. Die bayerisch-tschechische Seminarkooperation untersuchte konkret die doppelten Narrative der Kollektivschuld und der (heroischen) Opferrolle in Bezug auf den Zweiten Weltkrieg, wie sie insbesondere im tschechisch-deutschen Kontext artikuliert werden.
Bei einer Einführungssitzung und einem Onlineworkshop lernten sich die Studierenden beider Universitäten kennen und erwarben theoretische Kenntnisse zur Erinnerungskulturforschung, zu Zeitzeug*inneninterviews und zu lokalen Besonderheiten des Erinnerns an den Zweiten Weltkrieg in Prag und Regensburg. Später führte eine mehrtägige Exkursion durch Tschechien und Bayern die Gruppe auch persönlich zusammen.
StoryMaps über Holocaustüberlebende
Als Produkt des Kurses entstanden sog. StoryMaps – kartenbasierte Onlinegeschichten, denen jeweils das Zeugnis eines Holocaustüberlebenden zugrunde liegt. Diese Menschen durchliefen im Laufe ihres Lebens und ihrer Verfolgung Orte, die von den Studierenden auf der Onlineplattform StoryMaps dargestellt wurden und die der Kurs teils während der Exkursion besuchte.
Die Studierenden wurden für das Projekt in vier Gruppen eingeteilt und besprachen die unterschiedlichen Rollen und Verantwortlichkeiten innerhalb der Gruppen, z. B. Gruppenleitung, Recherche, Lektorat sowie Fotodokumentation und Graphisches. Die Arbeit an den StoryMaps wurde nach der Exkursion in Kleingruppen fortgesetzt.
Daraus sind folgende Geschichten entstanden, die online frei zugänglich sind:
Exkursion nach Prag, Lidice, Regensburg und Flossenbürg
Begleitet durch die Kursleiterinnen Dr. Jacqueline Nießer (Universität Regensburg), Prof. Dr. Kateřina Králová und Dr. Karin Roginer Hofmeister (jeweils Karls-Universität Prag) verbrachten die Teilnehmenden zunächst drei Tage in Tschechien, dann drei Tage in Bayern.
Am 17.06.2024 trafen sich die Studierenden erstmalig persönlich im „Malach Center for Visual History“ in Prag und arbeiteten mit Zeitzeug*innenmaterial aus dem dortigen Archiv.
Tags darauf wohnte die Gruppe einer Gedenkveranstaltung an den Widerstand gegen die Nazis bei der orthodoxen Sankt-Kyrill-und-Method-Kirche bei. In der Krypta dieser Kirche hatten sich im Juni 1942 sieben tschechoslowakische Widerstandskämpfer versteckt, welche am Attentat auf den nationalsozialistischen Reichsprotektor Reinhard Heydrich beteiligt gewesen waren.
Am Nachmittag fuhren die Studierenden ins Dorf Lidice, wo die Nationalsozialisten als Vergeltung auf das Attentat an Heydrich ein Massaker an Zivilist*innen verübt und das gesamte Dorf vernichtet hatten. Dort besuchte die Exkursionsgruppe die historische Dauerausstellung im Museum, den Gedenkpark und ein Haus des in den 1950er Jahren neu angelegten Dorfes Lidice, wo eine Zeitzeugin auch über die sozialistische Erinnerungspolitik vor Ort berichten konnte.
Am 19.06.2024 besichtigten die Teilnehmenden das Prager Militärmuseum sowie eine bereits in die Jahre gekommene Ausstellung im Palais Petschek, das während des Zweiten Weltkrieges als Gestapozentrale genutzt wurde.
Am 20.06.2024 erfolgte die Weiterreise zur nächsten Station der Exkursion – Regensburg. Dort nahmen die Studierenden an einer Stadtführung sowie an einem Rundgang durch die Ausstellung „Ende der Zeitzeugenschaft?“ teil. Anschließend bestand die Möglichkeit zum Besuch der Podiumsdiskussion „Liegt die Zukunft der Zeitzeugenschaft im Digitalen?“, die als Teil des Rahmenprogramms der zuvor gesehenen Ausstellung vom Zentrum Erinnerungskultur der Universität Regensburg veranstaltet wurde.
Am nächsten Tag stand der Besuch der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg auf dem Programm, wo die Teilnehmenden bei einer Führung nicht nur Einblicke in die Geschichte des Konzentrationslagers in der NS-Zeit, sondern auch in die Nach- und Umnutzung des Ortes erhielten. Ihre Eindrücke aus den individuellen Erkundungen diskutierten die Teilnehmenden schließlich in Kleingruppen.
Am letzten Tag der Exkursion führten die Regensburger Studierenden ihre Gäst*innen aus Prag selbst durch die lokale Erinnerungslandschaft. Sie begaben sich auf die Spuren der Gedenkmärsche zum Ende des Zweiten Weltkriegs am 23. April, beschäftigten sich mit der Erinnerung an die Regensburger Opfer der NS-‚Euthanasie‘ und besuchten gemeinsam das Haus der Bayerischen Geschichte. Auch etwas Erinnerungsaktivismus wurde betrieben, indem die Studierenden gemeinsam Stolpersteine säuberten und diesen so zu neuem Glanz verhalfen.
Der Nachmittag diente der Reflexion der vielfältigen Erfahrungen und Eindrücke der einwöchigen Exkursion zu Erinnerungskulturen an den Zweiten Weltkrieg in Bayern und Tschechien.
Perspektiven der Teilnehmenden
Die Teilnehmenden schätzten besonders den Anwendungsaspekt des Kurses, also sich erst mit der Theorie zur Erinnerungskultur zu beschäftigen und dieses Wissen anhand der Exkursion vor Ort zu testen. Neben Wissen zu aktuellen Erinnerungskulturen in Tschechien und Deutschland nahmen die Studierenden auch neue Kompetenzen im Bereich der Museumsanalyse und der Public History bzw. der Angewandten Geschichte mit und konnten erfahren, dass es nicht nur um das Teilen von Wissen, sondern auch von Gefühlen und Erfahrungen ging.
„This is truly one of the best courses I took at Uni Regensburg. The exploration aspect enhanced my understanding of the topics so much and made me much more interested. I would highly highly recommend it to everyone!“
„Der Ansatz eines Historikers reicht nicht. Was ich hier mitgenommen habe, ist lebendige Geschichte!“
„I unhesitatingly recommend the course.“
Förderlich waren hierfür vor allem die internationale Zusammensetzung der Gruppe und die vorherrschende emphatische und aufgeschlossene Atmosphäre.
Alles in allem war diese bayerisch-tschechische Zusammenarbeit für alle Beteiligten eine enorme Bereicherung, wissenschaftlich wie menschlich. Oder mit den Worten einer Studentin:
„Something will stay with us from Memory Studies.“
Das Seminar wurde durch das Zentrum Erinnerungskultur gefördert.
Der Artikel basiert auf dem Projektbericht von Dr. Jacqueline Nießer. Die Rechte an den Bildern liegen bei Dr. Jacqueline Nießer, Prof. Dr. Kateřina Králová und Maja Perschke.