Am 21.11.2022 fand im Kreuz+Quer in Erlangen die dritte Podiumsdiskussion der Veranstaltungsreihe „Den NS-Krankenmord erinnern“ in Zusammenarbeit mit der Stadt Erlangen statt. Unter dem Titel „Wert des Lebens“ – (Medizin-)Ethik, Umgang mit Behinderung, Biopolitik diskutierten Dr. Michael Wunder (Psychologe und Psychotherapeut; ehem. Mitglied im Kuratorium der Kommission Ethik und Recht der modernen Medizin des Deutschen Bundestags und des Deutschen Ethikrats), Dr. Mirjam Janett (Wissenschaftliche Assistentin am Historischen Institut der Universität Bern) und Dinah Radtke (Behindertenrechtsaktivistin und Mitbegründerin des Zentrums für Selbstbestimmtes Leben Behinderter (ZSL) in Erlangen).
Zur Sprache kamen u. a. die Themen Behinderung und Inklusion, die anhand von Beispielen in einen historischen, medizinischen sowie alltagspraktischen Kontext gesetzt wurden. Der Verweis auf die UN-Behindertenrechtskonvention – die für viele betroffene Gruppen geltendes Menschenrecht bestärkt – verdeutlichte abermals die Notwendigkeit einer Würdigung behinderter Menschen als wichtigen Teil der Gesellschaft. Sowohl Podium als auch Publikum waren sich einig, dass es in unserer Gesellschaft der Überwindung eines defizitorientierten Verständnisses bedarf.
Die Veranstaltung unterstrich auf vielen Ebenen, dass es weitere Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung der Bevölkerung benötigt und „Barrierefreiheit nicht immer nur eine Kompensationsstrategie“ sein darf.
Ein nachträglicher Zusammenschnitt der Podiumsdiskussion durch den Moderator Gregor Hoppe wurde als Abendsendung im Format Bayern 2 debattiert am 24.11.2022 gesendet.
„Das Verhältnis der Menschen zu Behinderung ist sehr zwiespältig. Einerseits wird Inklusion propagiert, aber nur sehr halbherzig durchgeführt. Und Inklusion ist ja eigentlich ein Menschenrecht, auch laut der Behindertenrechtskonvention, die seit 2009 bei uns Bundesrecht ist. Es heißt, dass die Bundesländer die Konvention umsetzen müssen. Das tun sie aber nur sehr halbherzig.“
Dinah Radtke
„Inklusion bedeutet die Gemeinschaft der vielen Verschiedenen, eine Wertschätzung und eine Anerkennung, auch dass die Differenz zum Anderen absolut notwendig ist für die Entwicklung einer Gesellschaft. Eine Gesellschaft der vielen vollkommen Unterschiedlichen zu leben und anzustreben, ist sicher sehr anstrengend. Deshalb ist das natürlich ein großes Ideal, eine inklusive Gesellschaft. Aber wir müssen ehrlich sein: Wir sind ganz weit davon entfernt.
Dr. Michael Wunder
„Die Figur des Behinderten oder der Behinderten ist mit der Aufklärung, also erst im 18. Jahrhundert entstanden. Früher, im Mittelalter, hat man Leute mit Gebrechen meist mit Adjektiven wie zum Beispiel „hilflos“ oder „gebrechlich“ beschrieben. Das bedeutet nicht, dass diese nicht auch stigmatisiert oder marginalisiert gewesen wären. Aber diese Menschen wurden noch nicht zu einer Gruppe von Behinderten zusammengefasst. Das ist eine Entwicklung, die es erst seit der Aufklärung gibt.“
Dr. Mirjam Janett
Presseecho zur Podiumsdiskussion in Erlangen:
Weitere Podiumsdiskussionen in der Reihe:
Den NS-Krankenmord erinnern
Im Rahmen des Publikationsprojekts „Den NS-Krankenmord erinnern“ veranstaltet das Zentrum Erinnerungskultur mehrere interdisziplinäre Podiumsdiskussionen zu Geschichte und Gegenwart der Erinnerung an den NS-Krankenmord.