Arbeitsprogramm

Das Zentrum Erinnerungskultur beschäftigt sich mit Erinnerungspraktiken, Erinnerungsdiskursen und Geschichtspolitiken in Gegenwart und Vergangenheit. Dabei werden Theorie und Praxis, wissenschaftliche und gesellschaftliche Auseinandersetzung, forschende Durchdringung und vermittelnde Formate miteinander verschränkt.

Folgende Fragen stehen im Fokus des ZE:

  • Welche Institutionen und Akteur*innen prägen den öffentlichen politischen und (populär)kulturellen Umgang mit Vergangenheit und Geschichte? Welche Intentionen und Positionen bestimmen diese Diskurse? Welche Instrumente und Strategien werden dabei angewandt?
  • Welche globalen Einflüsse, Trends, Muster und Diskurse spiegeln sich in lokalen, regionalen bzw. ‚glokalen‘ Praktiken wider? Welche epochen- und kulturenübergreifende Muster liegen Erinnerungspraktiken und geschichtspolitischem Handeln zu Grunde?
  • Wie können erinnerungskulturelle Phänomene im zeitlichen Verlauf sowie in unterschiedlichen lokalen, (trans)regionalen oder (inter)nationalen Zusammenhängen verglichen werden? Welche Konjunkturen und Schwerpunkte erinnerungskultureller und geschichtspolitischer Debatten gibt es?
  • Wie können der Begriff Erinnerungskultur sowie die damit verbundenen Praktiken kritisch historisiert werden? Welche Rolle spielt die Auseinandersetzung mit dem kolonialen Erbe westlicher Gesellschaften dabei?
  • Wie entwickelt sich die wissenschaftliche Beschäftigung mit Fragen und Konzepten der Erinnerungskultur in thematischer, methodischer und theoretischer Hinsicht? Welche Zugangsweisen werden in verschiedenen Disziplinen diskutiert und angewandt?
  • Wie beeinflussen Formen des prozessorientierten, oft mit Verkörperung und performativen Ansätzen verbundenen doing history die Erinnerungs- und Geschichtskultur?
  • Welche Rolle spielen soziale Marker und Positionierungen wie Geschlecht, Klasse, Rasse sowie Intersektionalität in erinnerungs- und geschichtskulturellen Praktiken und Repräsentationen?
  • Wo liegen die Chancen digitaler Formate für die Erinnerungskultur? Welche Potentiale generieren virtuelle Formen und Praktiken, etwa vor dem Hintergrund des „Endes der NS-Zeitzeugenschaft“?
  • Wie entsteht ein Dialog auf Augenhöhe zwischen Theoretiker*innen und Praktiker*innen der Erinnerungskultur? Welche Rolle spielen co-creative und kollaborative Ansätze, um etablierte Wissensformen neu zu denken? Welche experimentellen Settings gibt es dafür?

Das Zentrum versteht sich als wissenschaftlich-diskursives Forum zur Förderung der Auseinandersetzung mit gegenwärtigen und vergangenen Erinnerungskulturen und ist prinzipiell themenoffen.

In der Aufbauphase konzentriert sich die Arbeit auf vier Aspekte:

1) Erinnerung an Nationalsozialismus und Holocaust

Aus der engen Kooperation der Universität Regensburg mit der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg ergeben sich die Erforschung und Vermittlung der Erinnerung an Nationalsozialismus und Holocaust als zentrale Aufgaben des ZE. Die vergangenen und gegenwärtigen gesellschafts- und geschichtspolitischen Debatten verdeutlichen die ungebrochene Relevanz dieses inhaltlichen Schwerpunktes. Dabei geht es ganz wesentlich um die kritische Analyse von politischen Diskursgeschichten, von Opfer- und Täternarrativen sowie um Aspekte des gesellschaftlichen Umgangs mit Nationalsozialismus und Holocaust. Themen sind ferner die historisch-politische Vermittlungsarbeit, erinnerungspädagogische Didaktiken sowie die damit verbundenen Digitalisierungsstrategien.

Ausstellung „Ende der Zeitzeugenschaft?“

Den NS-Krankenmord erinnern

2) Erinnerungskulturen der Vormoderne

Der Blick des Zentrums richtet sich auch auf Phänomene der Vormoderne. Damit adressieren wir sowohl Erinnerungskulturen in vormodernen Gesellschaften als auch die Wahrnehmung früherer Jahrhunderte in der Gegenwart. Die insgesamt stark auf das 20. Jahrhundert fokussierte Auseinandersetzung mit Erinnerung wird so um eine lange historische Perspektive ergänzt, und Erinnerungskulturen werden auf historischen Wandel und Kontinuitäten hin untersucht. Diese Akzentuierung stützt sich auf die in Regensburg umfangreich vorhandene wissenschaftliche Expertise und hat ein ideales Anschauungsobjekt quasi vor der Haustür: mit den diversen Hinterlassenschaften des Alten Reiches und des Immerwährenden Reichstags in der städtischen Topographie und Erinnerungslandschaft. In den Blick geraten damit Themen, bei denen sich die Betrachtung aus ganz verschiedenen disziplinären Blickwinkeln lohnt, u. a. Memoria und Herrschaftsinszenierung, künstlerische Imaginationen der Vormoderne, kulturelles Erbe bis hin zu Tourismus und Marketing.

Analog-virtuelle Erinnerungslandschaft Altes Reich

3) Regionale, transregionale und ‚glokale‘ Erinnerungskulturen

Erinnerung verdichtet sich oft im Raum, an Orten, in Landschaften oder Regionen. Der Fokus auf den konkreten lokalen oder regionalen Kontext erlaubt, sich Akteur*innen und Ereignissen dicht zu nähern. Dabei geht es immer wieder auch darum, regionale Erfahrungen in nationale oder transnationale Entwicklungen einzuordnen und durch vergleichende Perspektiven zu kontextualisieren.
Ein besonderes Augenmerk liegt auf Grenzregionen. Sie sind gleichermaßen räumliche Ordnungen und Konstruktionen, mit denen auch politisch-ideologische Programme verbunden sind. Und sie sind transnationale bzw. transregionale Verflechtungszonen, die eigene Erinnerungskulturen hervorbringen. Thematisiert werden die mit der Ziehung, Befestigung und dem Verschwinden von Grenzen verbundenen Erinnerungen ebenso wie die Frage, ob Grenzen Erinnerungsgemeinschaften voneinander trennen oder als gemeinsame Erfahrungsräume auch verbindend wirken können.

Forschungs- und Vermittlungsprojekt „Das Grüne Band“

Ausstellungsprojekt „Bayerische Ostmark“

Ausstellungsprojekt „Nibelungenkaserne“

4) Konzepte und analytische Zugänge zur Erforschung von Erinnerungskulturen: Aktuelle Trends und Debatten / Concepts and Analytical Approaches in Research on Commemorative Culture: Recent Trends and Debates

Dieser Schwerpunkt setzt sich grundsätzlich mit „Erinnerung“ auseinander. Es geht hierbei vor allem um die individuellen und kollektiven Bedingungen und Bedingtheiten sowie die politischen, juristischen, wirtschaftlichen, künstlerischen Formen, Funktionen und Konsequenzen von Erinnerung. Die Annäherung daran geschieht in unterschiedlichen Formaten und in dezidiert interdisziplinärer Perspektive, die neben den kulturwissenschaftlichen Fächern und der Literatur auch die Psychologie/Neurowissenschaft und die Rechtswissenschaft mit einbezieht. Über das kulturwissenschaftliche Verständnis von Erinnerungskultur hinaus soll so Erinnerung als Grundbedingung der menschlichen Existenz thematisiert werden.

Beyond the ‘Time Machine’